

6. Tag 7. 7. 1966
Der Donnerstag war unser erster Tag in den Heimen von La Force.
Nach dem Kaffeetrinken in L`Espèrance - Hoffnung, wo wir auch wohnten, wurden die Mädchen auf die einzelnen Heime verteilt. Es waren vier Gruppen, die je zu zweit in die Häuser
L`Attente - Erwartung, La Famille - Familie, L`Abri - Obdach und
La Misericorde - Barmherzigkeit gingen, um bei der Pflege an den Kranken mit zu helfen.
Ich selbst war in der Misericorde . Das ist das Haus, in dem die ganz alten und die tiefschwachen Frauen gepflegt werden. Die Leiterin, Madame Goodjes, Führte uns herum, damit wir das Haus kennenlernten, und einen kleinen Einblick in die Arbeit, die verrichtet werden mußte, bekamen. Unser erster Weg führte in den Saal der Tiefschwachen. Was wir hier zu sehen bekamen, hat uns doch sehr erschüttert. Einige von den Kranken kamen auf uns zu, ein "Bonjour" zu sagen. Andere dagegen konnten sich überhaupt nicht ohne fremde Hilfe fortbewegen. Sie saßen den ganzen Tag auf ihren Stühlen. Aber trotzdem freuten sie sich, wenn man ein gutes Wort und ein Lächeln für sie übrig hatte. Hierbei möchte ich auch erwähnen, was mir gleich am ersten Tag auffiel. Die Pflegerinnen, die täglich mit diesen Leuten zusammen sind, und es wirklich nicht leicht haben, haben trotzdem der vielen Arbeit immer ein wenig Zeit für sie. Sie gehen zu ihnen hin, nehmen sie in die Arme und reden einige Worte mit ihnen. Im Moment konnte ich es nicht begreifen, daß die Pflegerinnen das so konnten, aber nach zwei Tagen fiel es auch uns nicht mehr schwer, sondern im Gegenteil, wir taten es sehr gern.
Nachdem wir das ganze Haus gesehen hatten, gingen wir wieder zu den Tiefschwachen, um beim Mittagessen zu helfen. Mit dieser Arbeit waren wir kurz vor zwölf fertig.
(Ich erinnere mich heute noch daran - im Gelände trafen wir einen jungen Mann - er hatte nur ein Auge - mitten auf der Stirn über der Nase. Ich war zu tiefst erschüttert. Ich dachte, so etwas gibt es nur im Film. Auf der Station, auf der ich war, befand sich ein etwa 12 bis 13 jähriger farbigen Junge - nach meiner Einschätzung - den ich in mein Herz geschlossen hatte. Er war spastisch gelähmt und konnte nicht sprechen. Kein Glied bewegte sich, so oft ich es versuchte, die steifen Glieder gerade zu biegen oder zu bewegen. Es ging wirklich nicht. Das war ein tiefer Schmerz für mich.)
Um 12.05 Uhr aßen wir dann mit dem Personal des Hauses zu mittag.

Der Nachmittag stand uns zur freien Verfügung. Einige fuhren in die nahegelegene Stadt Bergerac, um einige Einkäufe zu erledigen, die anderen blieben in LÉspérance. Nach dem Abendessen hatten wir wieder "frei". An diesem Abend wurde ein gründlicher Spaziergang durch La Force unternommen, der sich bis halb elf ausdehnte, und von dem der Pastor uns alle einsammeln mußte, um uns ins Bett zu bringen.
Die Eindrücke dieses Tages waren so groß, daß wir noch nicht schlafen konnten, sondern uns noch lange unterhielten.
verfaßt von Ulla
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